Das Theater im Gärtnerviertel eröffnet seine sechste Spielzeit mit „dosenfleisch“ von Ferdinand Schmalz
Eine Autobahnraststätte im Nirgendwo, in deren Nähe sich Unfälle verdächtig oft häufen. Der Versicherungsvertreter Rolf, ein Spezialist des Unglücks, will dieser mysteriösen Unfallserie auf den Grund gehen.
Oft rasen in der Todeskurve Fernfahrer und Autofahrer in den nächsten Crash hinein. Schauspielerin Jayne hat solch einen Unfall hinter sich und wurde von Tankstellenfrau Beate wieder zusammengeflickt. Erst im Unfall merkt man, dass man lebt. Ab sofort sorgen beide für Unfallgefühle. Wer ihnen in die Quere kommt, wird zu Dosenfleisch gefroren.
Bald entspinnt sich ein so undurchsichtiges wie durchtriebenes Spiel. Und der nächste Unfall kommt bestimmt …
Das Stück „dosenfleisch“ ist an der Oberfläche ein unterhaltsamer Theater-Thriller mit übermütig-albernen Kalauern und deftig-derben Splatter-Motiven. Und unter dieser Oberfläche: Philosophie.
Der vielfach ausgezeichnete Grazer Autor Ferdinand Schmalz entwirft darin ein bizarr-komisches Endzeitszenario, das wie ein Roadmovie geschrieben ist. Er thematisiert mit sprachlicher Finesse und viel Witz die Flucht und Heimatlosigkeit, das Ankommen, die Suche nach dem vertrauten Ich im fremden Wir.
Es spielen in der Inszenierung von Alice Asper:
Stephan Bach, Valentin Bartzsch, Ursula Gumbsch, Aline Joers.Musik: Jakob Fischer
Spielort
Dr.-von-Schmitt-Str. 18, ehemals Autozubehör Peter, Bamberg
Pressestimmen
Nur ein Unfall bringt Erlösung
Wer richtig leben will, muss dem Tod erst tief ins Gesicht geschaut haben. Mit dem furiosen Stück „dosenfleisch“ eröffnet das Bamberger Theater im Gärtnerviertel (TiG) die neue Saison.
Für einen Spielort entscheidet sich das Theater im Gärtnerviertel (TiG) nicht, weil er gerade zu haben ist und günstig noch dazu. Mit seiner Aura und Geschichte stattdessen soll der Spielort den Hallraum des Stückes erweitern, um eine auch körperlich erfahrbare Dimension.
Die Zuschauer am Freitagabend brauchten lediglich feine Sinne und etwas Fantasie, um den Geruch von Gummi und Öl in der Nase zu haben. Für „dosenfleisch“, das erste Stück der neuen Saison, hat das TiG die erst jüngst aufgegebenen Räume eines Geschäfts für Auto- und Motorradzubehör bezogen. Von einem schmückenden Bühnenbild sah Regisseurin Alice Asper ab. Die morbide Aura von Stück und Spielort verstärkte dieser Verzicht nur noch.
So bespielte das Ensemble mit den Räumen des aufgegebenen Geschäfts eine Schädelstätte des automobilen Zeitalters. Dass passt zum Stück. Das passt auch zum gegenwärtigen Debattenklima. …
Mit Dosen gemeint sind Autos, mit Fleisch die Menschen darin. Fleisch in Dosen ist auch der Fernfahrer, den Stephan Bach zwischen Gereiztheit und Erschlaffung flackern lässt. …
Wuchtig inszeniertes Finale
Als emotional nicht weniger verkümmert präsentiert sich den Zuschauern die Raststättenbesitzerin Beate (Ursula Gumbsch). Tiefere Gefühle bringt sie nur einer Topfpflanze entgegen. …
Die Verhältnisse und seine eigene Unfähigkeit, diesen Verhältnissen etwas entgegengegenzusetzen, haben Rolf vom Menschen zum Büromenschen erniedrigt. Valentin Bartzsch spielt ihn als neurotisches Nervenbündel, mit bewundernswerter Körperbeherrschung und Lust an der grellen Illustration von Ticks und Marotten. …
Ihr körperliches Aufeinandertreffen imaginieren der Schadensermittler und die von Alina Joers mit fiebriger Energie gespielte TV-Moderatorin konsequenterweise als Unfall. …
Weil das Ensemble die Balance zwischen Komik und Zivilisationskritik durchweg hält, gelingt dem TiG ein furioses Stück über unsere Gegenwart.